Geliebter Sohn by Gast Lise

Geliebter Sohn by Gast Lise

Autor:Gast, Lise [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


VIII

Das Schiff

Es waren auch Pferde verladen worden. Ullo sagte sich das als Trost, obwohl sie sich gleichzeitig reichlich albern fand. Was hatte es Tröstliches an sich, wenn im Schiffsbauch ein paar fremde Pferde standen! Norweger sogar, ähnlich ihrem Pascha zu Hause — doch, es war tröstlich. Für einen Menschen wie sie war es das. Trost hat mit Logik nichts zu tun.

Die Luft war kalt und gleichsam glatt, geschmeidig — Ullo bewegte das Gesicht ein wenig im Fahrtwind. Sie stand und sah die Lübecker Bucht an sich vorüberziehen. Keine Schiffskapelle spielte: Muß i denn — muß ich denn. Sie hatte das eigentlich erwartet. Aber es war besser so, es hätte sie vielleicht zu Tränen gebracht. Und Tränen — dazu gab es wahrhaftig keinen Grund.

Natürlich war es schlimm, Mechtild nicht mitzuhaben. Schlimm, aber absolut richtig. Sie konnte ja nicht ein Leben lang von Mechtild geführt werden, wenn etwas schwierig wurde. Irgendwie mußte sie allein zurechtkommen.

Dieter hatte sie nach Lübeck gefahren. Er war ein netter Reisekamerad, ein Stück Mechtild. Jetzt aber war auch er zurückgeblieben, und das Abenteuer begann. Sie versuchte, sich ihm zu stellen. Das aber fiel ihr leichter, wenn sie sich sagte, das Schiff habe auch Pferde mit. Blöd, aber wahr.

Ullo hatte sich einen Platz an Steuerbord ausgesucht, saß auf einer überdachten Bank und spürte dem leisen Vibrieren nach, das im Schiff zitterte. Nein, es war nicht das Schiff, es war sie selbst. Sie zitterte, innerlich. Sie hatte Angst, Angst, Angst. Wenn sie es nun falsch machte? Wenn Friedrich die große Enttäuschung ihres Lebens wurde? Wenn er sie überhaupt nicht sprechen wollte, wenn er ihr Vorwürfe machte? Wie sollte sie ihm glaubhaft erklären, was sie bisher niemandem hatte erklären können!

Sie fühlte sich vollkommen hilflos, ausgeliefert. Wieder einmal, wie immer, wenn das Leben etwas von ihr verlangte, das sie sich nicht zutraute, sehnte sie sich heftig, unvernünftig und wild nach ihrem Mann. Nach einem Menschen, der sie in die Arme nahm, nach »einer Schulter zum Weinen«, wie Mechtild es nannte. Warum war diese den Frauen entzogen, die es von vornherein schwerer hatten als andere: den Witwen, die sowieso für zwei arbeiten mußten. Doppelte Beanspruchung und keinerlei Trost — war das nicht ein bißchen hart? »Wir Witwen verderben die Tischordnung, man lädt uns nicht gern ein«, hatte Mechtild einmal in ihrer herzerfrischenden Art gesagt, »aber was ist schon dabei? Ich kann darauf verzichten!« Ullo aber fühlte, allein der Begegnung mit ihrem Sohn entgegengehend, eine ohnmächtige, anklagende Wut darüber.

Bis sie plötzlich, wie aufwachend, sah, daß das Land zurückgeblieben war und das Schiff in ein glattblankes, ungekräuseltes, stilles Meer hineinschnitt — ruhig, unendlich ruhig. Da fühlte sie, wie ihr Inneres sich glättete. Zehn Stunden sollte die Überfahrt dauern — wie wunderbar, wie heilsam, wie genau richtig für sie! Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen, hielt das Gesicht der milden Morgensonne hin. Im selben Augenblick war sie eingeschlafen.

Ullo erwachte mit einem Ruck. Sie hatte geträumt, sehr, aber schon sehr deutlich. Der Tierarzt war da, wegen des neuen Pferdes. Sie sollte es halten, und es war so unglaublich groß, sein Kopf hoch über ihr.



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